Wie schon bei der Verpflegungs- und Pausenstrategie erläutert ist die Festlegung des Abfahrtszeitpunktes maßgeblich für diverse Faktoren der Tour. Fangen wir vielleicht zuerst mit dem Datum an. Unser ursprünglicher Plan war rund um die Sonnenwende (21. Juni) zu fahren, da man zu diesem Zeitpunkt am wenigsten Dunkelheit hat, aber die Temperaturen schon angenehm sind. Allerdings wurde ich im Januar erst operiert und daraus resultierte ein frühester Trainingsstart Mitte Februar. Mir persönlich war die zur Verfügung stehende Aufbauzeit zu kurz. Der nächste arbeits-, familien- und wetterkompatible Slot war dann ab Dienstag dem 6. August bis Freitag 9. August.
Wann ist richtig, wann ist falsch?
Die erste Augusthälfte ist in Italien die Hauptferienzeit, dass sollte man auf dem Schirm haben. Entsprechend früh sollte man sich an die Reservierung von Unterkunft und Transfer machen. Die Transalpveranstalter schleusen in diesen Wochen die Transalpgruppen am Fließband über die Berge. Zusätzlich dazu haben Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich und die Schweiz Schulferien, am Gardasee ist also der Teufel los.
Es ist vor Ort gechillter wenn man außerhalb der Hauptferienzeit fährt, kam für uns allerdings 2019 nicht in Frage. Wartet man bis Ferienende, also September, kann es in der Nacht schon relativ frisch werden. Mit Pech erwischt man Schneetreiben am Brennerpass, und es ist nachts noch mal ein ganzes Stück länger dunkler.
Bei einer Nachtfahrt empfiehlt es sich auch den Termin mit der Mondphase abzustimmen. Wir hatten das erste Viertel nach Neumond auf der Tour und das war schon ganz schön dunkel. Gepaart mit dem Regen in der Nacht war die Sicht schon reichlich beschränkt und hat vollste Aufmerksamkeit erfordert.
Warum durch die Nacht?
Für uns gab es dafür 3 Hauptgründe:
- In Berichten von Transalpern, die den Etschtal Radweg von Bozen zum Gardasee fahren liest man oft von ziemlich starkem Südwind.
Hier ein Auszug von der Kalterer See Homepage (http://www.kalterersee.com):
Schon ab März weht bei stabiler Hochdruck-Wetterlage der Südwind, die bekannte “Ora”, vom Gardasee hoch durch das Etschtal bis zum Kalterer See. Meist geschieht dies nach 14.00 Uhr, ihre volle Kraft von 4 bis 6 Beaufort erreicht die Brise erst etwas später am Nachmittag.
Mit bereits 300 km in den Knochen wollten wir uns das ersparen, ein solcher Gegenwind trägt sicherlich nicht zum Fahrspaß bei. Wer schon am Gardasee war der kennt die Winde, die auf einmal da sind und ziemlich anhaltend sein können.
Hintergrund ist das sich aufwärmende Gestein und die Hänge rings um das Etschtal. Von dort steigt der Wind auf und es bildet sich der sogenannte Talwind in südlicher Richtung.
Um dieses Windphänomen zu umgehen fährt man in den frühen Morgenstunden oder am späten Abend. Entweder bevor sich das Gestein erwärmt, oder wenn sich die Hänge wieder abgekühlt haben.
Da wir aber nicht in den späten Abendstunden/Nacht am See ankommen wollten um uns dann direkt ins Bett zu legen haben wir uns für die Variante in den frühen Morgenstunden entschieden. Siehe da, auch wenn wir windtechnisch vor allem bis Bozen Pech gehabt haben, zumindest auf diesem Teilstück ist der Plan aufgegangen. Es war gefühlt windstill oder sogar ein leichter Rückenwind zu verspüren. - Effektive Nutzung unseres Zeitfensters. Wir wollten auf keinen Fall an einem Wochenende fahren, da in Bayern und Tirol viele Motoradfahrer und Ausflugsverkehr unterwegs sind. Auf der italienischen Seite fährt man ja weitestgehend Radwege, somit stellt der Autoverkehr dort kein Problem dar. Ohnehin sah unser Zeitfenster ja nur Dienstag bis Freitag vor. Wenn man also nicht nachts am Gardasee ankommen will bleibt nicht viel übrig als um die Mittagszeit in München loszufahren. Rechnet man vorwärts sollte man so in den frühen Morgenstunden in Bozen ankommen um die „Ora“ zu umgehen, theoretisch zumindest.
Wir haben mit einer Ankunft um ca. 10:00 Uhr am Gardasee kalkuliert. Der Plan sah vor dann eine Dusche zu nehmen und etwas zu Essen. Gefolgt von einem kühlen Getränk und einer 2 bis 3 stündigen Siesta um den Tag am See nutzen zu können. Dass die Siesta dann aufgrund der Hitze ausfiel und kein Schlaf möglich war hat dem Tag überraschenderweise keinen Abbruch getan. Hätte mich das jemand vorher gefragt, hätte ich mich schwierig mit dem Gedanken anfreunden können. Aber auch das ist Typ-und Tagesform abhängig wie man eine durchgefahrene Nacht wegsteckt. - Tagsüber kann es jeder. Die obigen Punkte zusammengenommen haben wir als Bestandteil der Herausforderung gesehen und uns zur Nachtfahrt entschlossen. Auch eine solche Erfahrung kann man ja mal machen, die auch Vorteile mitbringt. Bei einem Tourstart in der Nacht oder in den frühen Morgenstunden ist der Schlaf zuvor oft sehr unruhig und wenig erholsam. Startet man zur Mittagszeit ist es auch bei schlechtem Einschlafen möglich das Schlafdefizit dadurch auszugleichen, dass man länger schlafen kann.
Rückblickend muss ich sagen, dass ich mich unterdessen schon gefragt habe ob die Nachtfahrt die richtige Entscheidung war. Aber, wie beschrieben, hatte ich glücklicherweise mit der Müdigkeit weniger Probleme. Es gab allerdings einen Moment als wir in Schwaz im Inntal bei anbrechender Dämmerung das einzige Mal eingekehrt sind und die ersten Regenschauer einsetzten als uns die Wirtin fragte wo wir denn bei dem Wetter noch hinwollten. Mit der Antwort „Zum Gardasee“ riefen wir ungläubige Blicke hervor und sie fragte uns ob wir eine Wette verloren hätten oder sie jetzt „pflanzen“ wollten. Doch, in diesem einen Moment habe ich mich gefragt: „Was mache ich eigentlich hier?“
Vorwärtsrechnung
Um die Ankunft am See zu berechnen ist die Rechnung relativ einfach:
Gesamtstrecke / erwarteter Schnitt + geplante Pausen = Gesamtzeit
Das Ergebnis wird auf die Abfahrtszeit addiert und so erhält man die ungefähre Ankunftszeit. Vor der Tour habe ich Berichte gelesen wo reine Fahrzeiten von 16 h – 18 h angegeben wurde. Wir haben uns für die Mitte entschieden und mit 17 h gerechnet, was einem Schnitt von knapp 23km/h entspricht.
Bei unserer Pausenstrategie, alle 50 km ca. 15 Minuten Pause und zusätzlich einer langen Pause im Inntal bevor es in die Nacht geht, kann man gutmütig noch 3 h dazurechnen.
390 km Strecke / 23 km/h Schnitt + 3 Stunden Pause = 20 h Gesamt
Am Ende waren wir in 21 h am Gardasee, haben aber sicherlich 60 Minuten durch Pannen verloren. Wären die Bedingungen besser gewesen, vor allem der Regen in der Dunkelheit, hätten wir sicherlich noch einen besseren Schnitt gehabt. Auf der Abfahrt zwischen Brenner und Bozen kann man schon richtig Gas geben (wenn man denn was sieht ).
Den eigenen Langstrecken-Schnitt solltet man auf den langen Trainingstouren herausfinden. Wir haben in der ersten Hälfte vermieden am Limit zu fahren da einem sonst hinten raus die Körner fehlen können. Deshalb empfiehlt es sich während der Tour den Schnitt im Auge zu behalten und mit der Kraft zu haushalten.
Zur Berechnung der Fahrzeit oder Ankunftszeit eignet sich der Pace Rechner von TriLifeLove hervorragend.